IN DER NACHT SIND ALLE KATZEN GRAU –
ODER: ÜBER DAS ZÄHMEN DER FARBE

Katrin Bucher Trantow

Wenn in der Nacht alle Katzen grau werden und auch die Umgebung die Farben verliert, weil wegen der mangelnden Lichtintensität nur ein Teil der Sinneszellen im Auge arbeiten, sind die Farben da, wir sehen sie nur nicht. Farben sind also nur unter bestimmten Bedingungen sichtbar.
Zwei Jahre lang widmete sich Drago Persic dem persistenten Auffinden aller global vorhandenen Farbschattierungen von Ölfarben. 2018 und 2019, jeweils von Januar bis Mai, malte Persic, der seit Jahren malerische Studien über das Verhalten von Textur, Stoff, Licht und Schatten als quasi-filmische Inszenierungen in Grisailletönen unternimmt, jeweils jeden Tag ein Bild mit jenen Farben, die er weltweit im Handel gefunden hatte. Ursprünglich ging er davon aus, dass ca. 90 Farben verfügbar sein würden. 67 sind es schließlich in der Auswahl für dieses Buch geworden. Im Vergleich zu den bis zu 7 Millionen Farben, die wir laut einer Studie der Gutenberg Universität Mainz anhand ihrer bis zu 500 Helligkeitsstufen, 200 Farbtönen und 20 Sättigungsstufen mit freiem Auge unterscheiden können, verweist die Serie dabei listig auf eine scheinbar geradezu einfältige Reduktion des käuflichen Materials.1
„Auf die Frage ,Was bedeuten die Wörter ,rot‘, ,blau‘, ,schwarz‘, ,weiß‘‘, können wir freilich gleich auf Dinge zeigen, die so gefärbt sind, – aber weiter geht unsre Fähigkeit, die Bedeutungen dieser Worte zu erklären, nicht! Im übrigen machen wir uns von ihrer Verwendung keine, oder eine ganz rohe, zum Teil falsche, Vorstellung.“2
Die Bemerkungen über die Farben gehören zu Ludwig Wittgensteins komplexesten Texten. In gewohnt poetischer Sprachanalyse stellt er anhand wechselnder Farbbeispiele die immer wieder bohrenden Fragen nach der möglichen Objektivität von Farben und deren Verwendung. Wie im Tractatus logicophilosophicus erörtert er dabei sprachliche Definierbarkeit und Determiniertheit der Farbbegriffe und deren Zuschreibungen, die weit über das reine Sehen hinausgehen. Was Drago Persic im vorliegenden Band der konzeptuell geordneten Serie ULTRAMARIN, ULTRAMARINE, OUTREMER ausbreitet, ist eine ähnlich gelagerte, mehrfache Deklination des Begriffes „Farbe“. Nicht wenig erinnert sie dabei an Wittgensteins Versuch einer tiefgreifenden Analyse der Farbe innerhalb des gesamten Wahrnehmungsprozesses. Persic, dessen malerische Untersuchungen in Schwarz-Weiß in den letzten Jahren sich mehrfach mit der Zuschreibung der Chromophobie, also einer Angst vor der Farbe, konfrontiert sahen, seziert dafür inhaltliche, semantische und visuelle Bedeutungsebenen der bildnerischen Wiedergabe. Wahrnehmungs- und Abbildungsprozesse setzt er hier konsequent mit den Bedeutungsebenen von sprachlicher Bezeichnung und materiellen Bedingungen der Farbe in Beziehung.
Die Konzeptarbeit besteht dabei aus drei Wiedergabestufen, die der vorliegende Katalog bündelt und als Bildserie eines Farbkreises, in Titeln und Farbbeschreibungen erfahrbar macht. Die erste bildnerische Wiedergabe widmet der Maler einer Studiosituation in Öl auf Leinwand, die zweite der fotografischen Übersetzung eben jener malerischen Wiedergabe. Zuletzt wird die Abbildung der Abbildung, also die Fotografie des gemalten Ölbildes, im Offsetdruckverfahren gedruckt und zur Serie gebündelt. Für die erste Stufe des dreifachen Übersetzungsprozesses untersucht Persic im Sinne des künstlerischen Forschens eine reduzierte Situation, die er mehrfach wiederholt und durch die Koppelung mit der sprachlichen Angabe der verwendeten Farbe im Katalog erfahrbar macht.
Inhaltlich beschränkt er sich auf das Malen eines rechteckigen Tuches, das er auf seine Eigenschaften und das Verhalten im Raum testet, also auf seine Reflektion von Licht, auf seine Elastizität, seine Weichheit und sein Gewicht; im Sinne der forschenden Reduktion ist es die Quasi-Interpretation der Materialität der Leinwand selbst.
„Dass nicht alle Farbbegriffe logisch gleichartig sind, sieht man leicht. Z. B. den Unterschied zwischen den Begriffen ,Farbe des Goldes‘ oder ,Farbe des Silbers‘ und ,gelb‘ oder ,grau‘.“3
In den 67 Bildern werden die scheinbar zufällig gefalteten Tücher in der Bildmitte über eine unsichtbare Kante drapiert. In immer neuen Farben zeichnet sich ein scharfer, manchmal auch eckiger Gegenstand – ich erfahre im Gespräch, es ist der Tisch des Künstlers im Atelier – unter dem fotorealistisch gemalten Stoff als gleichsam zum Verschwinden gebrachtes Requisit des Illusionisten ab. Ich erfahre weiter, dass es sich stets um das gleiche Tuch handelt, das bei jedem Farbwechsel neu drapiert wird. Einmal hängt der eng gefaltete Stoff fast gänzlich vom Tisch herunter und man meint, die Situation kurz vor dem Abgleiten zu sehen. Ein anderes Mal breitet sich das rechteckige Tuch weit über die Kanten seiner Unterlage aus, sodass ein großer Teil des Bildes von der Farbe des gemalten Materials eingenommen wird. Nicht nur die Lage des Tuches, seine eigene Farbe und die des Bildhintergrundes, sondern auch die Anzahl der perfektionistisch ausformulierten bewegten und sich sinnlich bewegenden Falten ändert sich.
Spätestens bei der Betrachtung dieser Falten wird evident, was eigentlich klar sein müsste: Die Farben, die das Tuch ausmachen, sind gemalt. Das Tuch im Bild Ultramarin, Ultramarine, Outremer etwa ist also nicht nur Farbe, sondern sie stellt sie auch dar. So ist die Ölfarbe Ultramarin selbst nur Teil des Bildes. Das Tuch definiert sich zwar durch die Verwendung der Farbe, um die es in der Variation geht. Aber nicht nur. Die Falten und Lichter werden von Persic im reduzierten Farbspektrum gemalt, das sich neben der Hauptfarbe für die Lichtsituation und Formgebung dem Auge und dem Empfinden des Malers in Bezug auf die Farbe aufdrängt. Für ein sattes Orange beispielsweise werden für die Ausformulierung des textilen Körpers Gelbtöne ebenso wie Weißtöne und Grautöne verwendet. Ähnlich wie in der Grisaillemalerei seiner vorherigen Bilder, beschränkt Persic seine Palette zwar eng, aber niemals absolut: Tiefe textile Faltungen werden dort etwa mithilfe eines satten Braun oder im Gegenzug eines sanften Gelb im Weiß zu einem für das Auge konzise wirkenden Dialog der beiden Farben Weiß und Schwarz. In der Serie des „Farbkreises“ prägt Persic einen ebensolchen Dialog zwischen Haupt- und Nebenrolle der Farben durch die Position in der beleuchteten Mitte des Bildes und die wiederholte Verwendung von Komplementärkontrasten, die der Farbe – verwandt mit den Beschreibungen unterhalb der Titeleien – offenbar assoziative Stimmungen zuweist, die jenseits ihrer visuellen Reize liegen und ganz zentral auf die Bedeutung des sprachlichen und kulturellen, aber auch des persönlich assoziierten Kontextes verweisen.
Was wir sehen, wenn wir Persics „Farbkreis“ betrachten, ist eine Untersuchung und Zähmung der Farbwahrnehmung im Bild. Jedem Ton wird ein Nachbar zugewiesen, jeder erhältlichen Ölfarbe neben einer sprachlichen Definition ein Bild. Dass es zum Glück „nur“ 67 Farben waren, die der Maler gefunden hat, spielte dem Ziel der möglichst breiten Objektivität seiner künstlerischen Forschung in die Hand. Sich der sogenannten Farbangst stellend, schuf Persic als konzeptueller Maler eine ebenso humorvolle wie präzise Analyse einer sinnlichen Farbtherapie. Wenn auch schein - bar endgültig gezähmt, gestellt hat sich Persic der Farbe aber schon längst.
Denn in der Nacht sind zwar alle Katzen grau. Doch auch Grau ist eine Farbe.


1 Vgl. http://www.allpsych.uni-giessen.de/hansen/ teaching/VorlesungWahrnehmungUndSinnesphysiologieSS2005/Wahr-05-farbe-1.pdf [Zugriff: 5.10.2019].

2 Ludwig Wittgenstein, Bemerkungen über die Farben, 1968; MS 246, S. 23.

3 Ebd., MS 176, S. 13.



Published 2019
ULTRAMARIN ULTRAMARINE OUTREMER
Verlag für moderne Kunst
ISBN 978-3-903320-03-1